Mitenand 3-2024 - Flipbook - Seite 19
18 |19
sich aktiv bei uns, wie wir uns dabei fühlten und wie es
uns ging. So war zumindest meine Wahrnehmung,
denn wir funktionierten, autonom und ohne nennenswerte Querelen. Es hätte mich gefreut, mal gefragt zu
werden, wie es mir in dieser Situation geht, wie man
mich unterstützen kann oder was mir fehlt. Deshalb
mein Wunsch an Sie, liebe Leserschaft: Fassen Sie
Mut, auch Geschwister oder andere nahestehende
Personen nach ihrem Wohlbe昀椀nden zu fragen und
aktiv zuzuhören. Auch sie sind von dieser Situation betro昀昀en und durchleben eine unsichere und anstrengende Zeit.
Heute, Jahrzehnte später, schätzen wir uns glücklich, dass wir alle wohlauf sind und gemeinsam lachen und Feste feiern können. Lara ist zu einer starken und selbstbewussten Frau herangewachsen
und kostet das zurückerkämpfte Leben als Abenteurerin in vollen Zügen aus. Blicke ich als Geschwister
auf diese bewegte Zeit zurück, die sich in den
1990er-Jahren ereignete, stelle ich fest, wie stark
mich diese Zeit geprägt hat. Rückblickend nehme
ich wahr, wie Nachbarn, Gotte und Götti, Grosseltern und Freunde der Familie während dieser belastenden Zeit eine andere Rolle einnahmen. Sie alle
unterstützten uns in der ihnen möglichen Form:
Haushaltshilfe, Aus昀氀üge bis hin zu Ferien oder ganz
einfach Gesellschaft bei Spiel & Spass. Doch ist mir
heute bewusst, dass wohl auch sie mit der Situation
überfordert waren. In der Pubertät und während der
Zeit eines nicht ganz einfachen Schulwechsels stand
bei mir keine rebellische Zeit an. Es gab schlichtweg
keinen Platz dafür. Vielmehr wurde meine Resilienz
gestärkt, die mich und bestimmt auch meine Familie bereits mehrmals heil durch wilde Wasser oder
Stürme getragen hat. Wenn es darauf ankommt,
sitzen wir alle im gleichen Boot.
Retrospektiv schätze ich die Menschlichkeit aller
Beteiligten und bin für die Zuversicht und den Frieden in unserer Familie dankbar. In derartigen
Ausnahmesituationen ist es wichtig zu verstehen,
dass alle am Limit laufen. Viele konnten nicht so viel
Liebe, Aufmerksamkeit und Zeit schenken, wie sie
dies gerne getan hätten, oder waren teilweise selbst
überfordert und hil昀氀os. Egal, welcher Sturm auf
einen tri昀昀t, sollten Vertrauen, Respekt und Aufrichtigkeit einen gewahrt bleiben. Es ist wichtig, Fehler zu verzeihen und zu verstehen, dass in diesem
Moment alle in einer schwierigen Lebenssituation
stecken und nach dem eigenen Gutdünken das Bestmögliche tun. Leben Sie das Leben, bleiben Sie optimistisch und geniessen Sie jeden Tag mit Ihren
Liebsten. | MARLENE, 38-JÄHRIG
*
Name geändert
Die Geschwister
Auch Schwester und Bruder eines an Krebs erkrankten Kindes oder Jugendlichen sind von
einer Sekunde zur anderen in einer Ausnahmesituation. Mit einem Schlag ändern sich auch für
sie der gewohnte Alltag und das Familienleben –
nichts ist mehr, wie es war. Sorgen und Ängste
nehmen den Platz von Geborgenheit und Unbeschwertheit ein. Denn Krebs (be)tri昀昀t die
ganze Familie – Eltern, Großeltern und insbesondere auch die Geschwister.
Vieles dreht sich um die Behandlung des erkrankten Kindes. Oft ist ein Elternteil wochenlang im Spital – die gesunden Geschwisterkinder
verlieren eine ihrer engsten Bezugspersonen.
Sie spüren die Belastung der Eltern und nehmen
sich zurück. Sie wollen keinen zusätzlichen
Ärger machen und bloss nicht zur Last fallen.
Auf dem Plan für Geschwister steht jetzt: Verantwortung und neue Aufgaben übernehmen.
Lernen, mit der Krisensituation umzugehen.
Sich in Verzicht üben. Deshalb sind Geschwister
genauso Helden.