BJ 2024 11 - Flipbook - Seite 98
YOUNG BAKERZ
Junge Wilde
Neues Leben
eingehaucht
Kieran Schneider lässt die Familientradition wiederaufleben und eröffnet die Bäckerei Kelber in Ilsenburg neu.
Dafür wurde er mit einem Gründerpreis ausgezeichnet.
Ziel vor Augen. Bei dem großen Industriebetrieb gefiel es Schneider gut, denn es war ein guter Arbeitgeber, der gut zahlte, und ein
Job, der abwechslungsreiche Tätigkeiten und Aufstiegsmöglichkeiten bot. Doch letztlich stammte er aus einer Bäckerfamilie, und als
die Großeltern ihr Unternehmen aufgaben, öffneten sich plötzlich
neue Perspektiven. Das Haus konnte er mit seiner Frau und dem
Kind übernehmen, doch Produktion und Verkauf standen leer.
Schneider hatte sich nach der Schulzeit gegen ein Studium entschieden, weil es ihm zu theoretisch erschienen, und für die Arbeit
in der Industrie, weil es vernünftig gewesen war. Doch nun bot sich
die Gelegenheit, der Stimme seines Herzens zu folgen. „Mehl liegt
bei uns im Blut“, sagt er über sich und seine Familie. „Die Bäckerei
war allgegenwärtig, denn sie lag ja direkt neben unserem Haus.“
Weil ihn seine Frau unterstützte und seine Familie von der Idee, die
Bäckerei wieder aufleben zu lassen, begeistert war, kündigte Schneider seinen Job und begab sich zur Bäckerei Silberbach in Wernigerode in die Lehre, die er verkürzen konnte, und anschließend gleich
auf die Meisterschule nach Potsdam. Dafür reichte das Geld. Die
Arbeit war hart, insbesondere der verschobene Schlafrhythmus.
Wie er das geschafft hat, ist ihm klar: „Man muss das wollen. Ich
jedenfalls hatte ja ein Ziel vor Augen, das ich unbedingt erreichen
wollte.“ Für seine Selbständigkeit brachte Schneider 350.000 Euro
auf, die teils von Ersparnissen, teils von einer Bank stammten. Doch
Geld allein reicht nicht, um ein Unternehmen aufzumachen. Man
muss auch einen langen Atem haben, denn vor der Arbeit kommt
die Bürokratie. Ein Amt kümmert sich in Ilsenburg beispielsweise
um den Naturschutz und begab sich auf die Suche nach Lurchen
und Faltern, die es vor der Wiederinbetriebnahme der Bäckerei zu
retten galt. Ein anderes Amt achtete genau darauf, dass alle Bau- und
Betriebsvorschriften eingehalten wurden und der Ofen bestimmte
Abgasgrenzwerte nicht überschritt. „Mein Problem war“, erzählt
Schneider, „dass ich nicht einfach die alte Bäckerei wiederaufleben
lassen konnte. Es handelte sich vielmehr um eine komplette Neugründung, die auch seitens der Verwaltung so behandelt wurde.“
Manchmal ging es nur um wenige Zentimeter, die den aktuellen
Bestand von den jeweiligen Vorschriften trennte. Doch trotz alledem
sagt er: „Die Mitarbeiter, mit denen ich zu tun hatte, waren immer
sehr hilfsbereit und verständnisvoll“, erinnert sich Schneider. Der
Verkaufsraum wurde komplett neu gebaut, die Produktion komplett
neu eingerichtet. Hier blieb nur der alte Schamotteofen.
[1] Kieran Schneider aus Ilsenburg (Harz)
hat der Bäckerei seiner Großeltern wieder
Leben eingehaucht.
[1]
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Back Journal 11/2024
Foto: Bäckerei Kelber 2024
G
ut hundert Jahre hatte die Bäckerei Kelber in Ilsenburg
(Harz) Bestand, doch Ende des Jahres 2015 wurde sie
dichtgemacht. Inhaber Hans-Jürgen Pflugner hatte sie in
dritter Generation betrieben. Dass nur wenige Jahre später, 2022,
der Familienbetrieb wiederauflebte und die fünfte – unter Auslassung der vierten – Generation das Ruder übernahm, ist das Werk
von Kieran Schneider, jetzt 31 Jahre alt, Enkel des letzten Inhabers.
„Die Bäckerei war zwar immer irgendwie Bestandteil des Familienlebens. Aber mein Großvater wollte seine Tochter nicht drängen,
sie zu übernehmen. Sie ist einen anderen Weg gegangen.“ Auch
Kieran Schneider ging zunächst einen anderen Weg: Nach Abitur
und Wehrdienst trat er eine Schlosserlehre an und arbeitete sechs
Jahre bei der Salzgitter AG in Ilsenburg als Industriemechaniker.