Magazin KINDgerecht Ausgabe 2-2023, November: Wie bildet man eine Demokratie? Mitwirkung von Kita-Kindern als Zukunftsaufgabe - Flipbook - Seite 28
Vignette 8: Fachkraft hält weitere Förderung zu Hause für notwendig
Das Elterngespräch über die vierjährige Marve 昀椀ndet zwischen den Eltern und der zuständigen Heilpädagogin (Heilpädag.) statt. Marve besucht eine integrativ arbeitende Einrichtung
mit Regelintegration. Im Elterngespräch wird es immer wieder Thema, dass mit Marve sowohl zu Hause als auch in der Einrichtung viel geübt werden müsse. Dabei werden die Eltern
in die Förderp昀氀icht gerufen, gewissermaßen als Co-Förderer.
Mutter:
//Wir üben das [Öffnen von Dingen] am// Hundefutter (lachend) tatsächlich
[…]//da haben wir auch//
Heilpädag.: //Sehr gut.//
Mutter:
immer so eine/ //Und da muss sie dann //auch mal ran.//
Heilpädag.: //Sehr, sehr gut. Ja, sehr gut.[…]
Vater:
Den Joghurt macht sie auch //alleine auf.//
Mutter:
//Ja, ja.// Ja, ja, aber diese Hundefutter-Dosen, also dieses //Ding/ gehen relativ//
Vater:
//Ist noch schwieriger.//
Mutter:
schwer, ja? Und dann ähm haben wir/ Das probieren wir //tatsächlich.//
Heilpädag.: //Ja, das hat/ // hat sich schon verbessert. Bin ich sehr froh drum. Wir müssen
aber trotz alledem noch äh dranbleiben, immer äh/ immer machen lassen.
Die soll ja äh/ soll ja ihre Handmotorik schulen, auf jeden Fall. Wie gesagt,
mit schweren Sachen, also wenn/ Wenn das wirklich eine Dose ähm/ Sie hat
manchmal solche mit so ähm vier Flügeln, das fällt ihr noch schwer, muss
man ihr zeigen. Ähm beim letzten Mal hat sie es irgendwie bekommen, also
sie hat es irgendwie äh zugedrückt bekommen, aber ähm man muss es ihr
immer wieder zeigen so, dass sie dann irgendwie so merkt: Okay, ich muss
da noch ein bisschen mehr Druck ausüben. Ja, wie gesagt, bei äh Knöpfen äh
braucht sie trotzdem immer noch so ein bisschen Hilfe.
Platz für Fragen und Notizen
Welche Hinweise und Tipps haben
Sie für Fachkräfte, Gespräche mit
Eltern zu gestalten? Insbesondere
wenn es um Kinder mit IStatus geht?
Zentral ist die Frage nach der Perspektive der Kinder. Der hohe Anspruch ist, keine harmonisierte Perspektive auf Eltern
zu haben, sondern anzuerkennen, dass
Fachkräfte und Eltern ungleiche Partner
sind. Pädagogische Fachkräfte haben
aufgrund ihrer Position eine bestimmte
Macht in der institutionellen Kindertagesbetreuung, wenn es beispielsweise
um Fragen des Kinderschutzes geht.
Dessen müssen sie sich bewusst sein.
Auch ist eine Polyvalenzoffenheit wichtig, weil Eltern ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Kind haben, die nicht immer deckungsgleich mit dem Bild der
Fachkräfte vom Kind sind. Nur der offene
Dialog bringt die Perspektiven der Fachkräfte, Eltern und – ganz wichtig – der
Kinder zusammen. Natürlich haben
auch Eltern eine Macht in diesem Kontext, denn man kann sie ja nicht zur Mitwirkung zwingen. Es ist wirklich eine komplexe Anforderung und bedarf ein hohes Maß an Professionalität, die den
Fachkräften abverlangt wird. In unserer
Broschüre2geben wir Praxistipps zu dem
Thema.
Abb. Vignette 8: Fachkraft hält weitere Förderung zu Hause für notwendig
Welchen Tipp zur Selbstre昀氀exion für
Wo eignet es sich die Welt schon selbstPädagoginnenn und Pädagogen
ständig an? Wo spielt es gern?“. Die Förhaben Sie für die Gesprächsführung
derung ist ganz klar ein wichtiger Aspekt,
mit Eltern?
aber eben nicht der einzige. Kinder haSich intensiv mit der potentiellen Verletzben nicht nur das Bedürfnis nach Fördebarkeit von Eltern eines Kindes mit Interung. Und ein zweiter wichtiger Aspekt ist
grationsstatus auseinanderzusetzen,
die Frage, wie man die Erfahrungen der
denn diese ist in den
Eltern einbeziehen
Elterngesprächen „Es ist eine wirklich große Heraus
kann. Kindern lerals Grundmuster forderung, Elterngespräche zu
nen nicht nur in der
permanent vorhanKita, sondern auch
führen, besonders mit Eltern mit
den. Wenn in den
das Familienleben
Kindern, denen ein Integrations
Gesprächen ausist eine wesentliche
schließlich über die status zugeschrieben wird! Sie
Er fahrungswelt.
Förderung der Kin- müssen sich mit der Fehleranfällig Wenn man Instruder gesprochen keit in solchen Situationen aus
mente wie „Bilwird, kann das diese einandersetzen und diese profes dungs- und LerngeVerletzbarkeit erhöschichten“ einsetzt,
sionell re昀氀ektieren!“
hen, denn den Elmuss man sich imtern wird vermittelt, das Kind kann etwas
mer auch die Frage stellen, wie kann
nicht, was andere Kinder vielleicht könman Eltern daran beteiligen. Wie kann
nen. Bei den analysierten Gesprächen
man also die beiden Lernwelten miteinstand häu昀椀g die zentrale Frage im Raum
ander verknüpfen? Diese Überlegungen
„Was muss das Kind noch lernen?“, „Wo
sollten bedacht werden, denn diese Verist es noch nicht so weit?“ und weniger
bindung haben wir in unserer Untersudie Perspektive, „Was möchte das Kind?
chung nicht so häu昀椀g sehen können.
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Es ist eine wirklich große Herausforderung, Elterngespräche zu führen, besonders mit Eltern mit Kindern, denen ein Integrationsstatus zugeschrieben wird! Sie
müssen sich mit der Fehleranfälligkeit in
solchen Situationen auseinandersetzen
und diese professionell re昀氀ektieren!
Interessant ist Ihre Feststellung der
Diskrepanz in der Wahrnehmung der
Kinder in Ihrer Studie. In der pädago
gischen Vorstellung von guter
Kindheit werden Kinder in der Regel
als aktiv entworfen. Bei Kindern mit
besonderen Bedürfnissen gibt es
abweichende Bilder. Haben Sie
konkrete Hinweise, wie man auch
das Bild vom Kind bei Integrationskin
dern als aktiv, selbstwirksam und mit
dem Bedürfnis nach Teilhabe und
Verantwortung in der Gesellschaft
zeichnen kann?
2 Zum Beispiel Betz, T., Bischoff, S. Eunicke, N.,
Kayser, L. B. & Zink, K. (2017). Partner auf Augenhöhe? Forschungsbefunde zur Zusammenarbeit
von Familien, Kitas und Schulen mit Blick auf Bildungschancen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann
Stiftung.