Magazin KINDgerecht Ausgabe 2-2023, November: Wie bildet man eine Demokratie? Mitwirkung von Kita-Kindern als Zukunftsaufgabe - Flipbook - Seite 27
Wie über Kitakinder in Elterngesprächen gesprochen wird, hat eine Wirkung darauf, wie das Kind in seiner Umwelt wahrgenommen wird. Pädagogische Fachkräfte stehen hierbei vor einer verantwortungsvollen professionellen Anforderung – insbesondere bei Familien mit Kindern mit einem Integrationsstatus – wie die Studie
„Elterngespräche und die Gestaltung von (inklusionsorientierten) Übergängen in
Kindertageseinrichtungen“ belegt. Nicht nur über das Kind, sondern mehr mit
dem Kind über seine Bedürfnisse sprechen, schlägt der Leiter der Studie Prof. Dr.
Peter Cloos vor.
Welche Rolle spielen Elterngesprä
che in der pädagogischen Arbeit
und der Zusammenarbeit mit
Familien?
Eine sehr wichtige! Die Zusammenarbeit
mit Eltern bzw. Erziehungsberechtigten
ist ein durch die Bildungspläne der Länder festgelegter Standard, aber die Zusammenarbeit geschieht in vielfältiger
Form. Elterngespräche sind dabei ein
sehr zentraler Bestandteil der Zusammenarbeit. Eltern haben das Recht zu
erfahren, wie es den Kindern in der Kita
geht, welchen Interessen sie nachgehen, wie sie sich entwickeln, wer ihre
Freunde sind und wollen sich in der Regel auch für die Belange der Kinder engagieren. Gleichzeitig haben sie zunehmend auch einen Bedarf nach Beratung und Unterstützung. Aus Studien1
wissen wir, dass die Zusammenarbeit von
Eltern und Fachkräften einen positiven
Effekt auf das Wohlergehen und das Lernen der Kinder haben kann. Es gibt vielfältige Überlegungen, wie diese Zusammenarbeit auch in Form von Elterngesprächen gestaltet werden soll, wir wissen aber noch wenig empirisch darüber,
wie diese Gespräche tatsächlich gestaltet werden.
Pädagogische Fachkräfte sind in Elterngesprächen mit zum Teil widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert. Beispielsweise: Auf der einen Seite sollen sie
partnerschaftlich mit Eltern auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten, andererseits haben sie aber auch die P昀氀icht, im
Sinne des Kinderschutzes zu agieren.
1 Zum Beispiel Betz, T., Bischoff, S. Eunicke, N.,
Kayser, L. B. & Zink, K. (2017). Partner auf Augenhöhe? Forschungsbefunde zur Zusammenarbeit
von Familien, Kitas und Schulen mit Blick auf Bildungschancen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann
Stiftung.
Dass die Zusammenarbeit komplexe Anforderungen an Fachkräfte und Eltern
stellt, ist uns durch die Analyse der Gespräche empirisch noch einmal deutlich
geworden.
sche Fachkraft hat die Aufgabe, eine
stabile Gesprächskultur mit den Eltern zu
schaffen, so unterschiedlich diese auch
sind. Das mag leicht klingen, ist aber
eine hochkomplexe Anforderung.
In Ihrer Studie haben Sie 30 Gesprä
che von pädagogischen Fachkräf
ten mit Eltern von Kindern, die einen
Integrationsstatus zugewiesen
bekommen haben, mit Blick auf das
Bild vom Kind analysiert. Was haben
Sie festgestellt?
Ein zentrales Ergebnis ist dabei die hochvariable Gestalt von Elterngesprächen
in den verschiedenen Einrichtungen. Es
gibt enorme Differenzen in der Art und
Weise, wie Elterngespräche über Kinder
mit Integrationsstatus ausgestaltet werden, welche Rolle die Eltern dabei einnehmen, welche Themen besprochen
werden und auch, wie miteinander
kommuniziert wird. Wir haben bei der
Analyse zwei zentrale Herausforderungen festgestellt, die wir als „konstitutive
Bezugsprobleme“ bezeichnen, d. h. sie
konturieren alle untersuchten Elterngespräche.
Was haben Sie daraus abgeleitet?
In unserer Studie ergaben sich aus den
zwei Handlungsherausforderungen drei
verschiedene Typen des Umgangs damit, die sich wiederum darauf auswirkten, welches Bild vom Kind in den Gesprächen erzeugt wurde. Bringen die
Fachkräfte eine Offenheit und Sensibilität für die Vulnerabilität der Eltern mit,
konnten wir in den Gesprächen feststellen, dass die Perspektive des Kindes sehr
wichtig war und sie als Co-Akteure wahrgenommen werden. Beim zweiten Typ
arbeiten Fachkräfte und Eltern wie ein
Team zusammen.
Wie mit diesen Herausforderungen umgegangen wird, beein昀氀usst maßgeblich,
welches Bild vom Kind entworfen wird.
Zum einen ist es die Herausforderung der
„potenziellen Verletzlichkeit der Eltern“
hinsichtlich der Zuschreibung ihrer Kinder
als „auffällig“ oder „abweichend“. Das
haben wir ganz konkret erlebt. Ein Elternpaar sagte unter Tränen zur Fachkraft,
sie habe es sehr getroffen, als beim letzten Gespräch die Vermutung vermittelt
wurde, ihr Kind habe eine Behinderung.
Und zum anderen ist da die Herausforderung der „Polyvalenz“, also der Vielfältigkeit und Vieldeutigkeit der Fachkraft-Eltern-Beziehung. Die pädagogi-
In den Gesprächen gibt es wenig konträre Meinungen, die Eltern ordnen sich
eher den Belangen der Kita unter. Beide
Seiten entwerfen dann eher das Kind als
„Risikoträger“, weil es z. B. als Kind mit Beeinträchtigung den Ablauf in der Kita
störe. Hier arbeiten die Erwachsenen im
Prinzip gegen die Kinder, weil sie an das
Kind herantragen, sich an ihre Erwartungen anzupassen. Der dritte Typ beschreibt ein Machtgefälle. Die pädagogische Fachkraft sieht in den Eltern eine
Art Förderassistenz. In diesen Gesprächen stehen nicht die Bedürfnisse des
Kindes im Mittelpunkt, sondern es wird
mit negativen Eigenschaften beschrieben wie „störend“ und „auffallend“. Von
den Eltern wird volle Kooperation erwartet und dass sie die Maßnahmen der Kita
klar unterstützen.
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