Fröbel Jahresbericht 2023: Zusammen. Für Kinder. - Flipbook - Seite 71
am Rhein, Essen und Gelsenkirchen, berichtete
aus ihrer Erfahrung mit der Schaffung städtischer
Strukturen für armutsbelastete Stadtteile.
Gerade bei den kommunalen Verantwortlichen
müsse ein armutssensibler Blick eingefordert und
immer wieder eingeübt werden. Mit Blick auf
Deutschland brauche es im Grunde eine armutssensible Bundespolitik, so Berg.
Fröbel-Geschäftsführer Stefan Spieker zeigte auf,
welchen Handlungsspielraum er für Kindertageseinrichtungen sieht. Das System Schule komme
mit individuellen Anforderungen vieler Kinder, die
die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, längst nicht mehr klar. Hier läge die große
Chance und Aufgabe von Kitas, so Spieker.
Allerdings mangele es in vielen Bundesländern
und Kommunen an der Unterstützung durch die
Politik für die weitere Schaffung von Kitaplätzen,
gerade in armutsbelasteten Stadtteilen. Somit
blieben die Familien unerreichbar für die Angebote von Kindertageseinrichtungen.
Den zweiten Teil des Tages eröffnete Prof. Dr.
Tanja Salem von der Fachhochschule Potsdam
mit einem Impuls zur Rolle von Kitaleitungen für
die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit.
Zahlreiche Studien belegen die große Bedeutung,
die Leitungsarbeit für die Wirkung von Kindertageseinrichtungen hat.
Christoph Butterwegge wies auf die aus seiner
Sicht falschen Schwerpunkte der Haushaltsplanung der Politik hin. Wenn Armut oder die Angst
vor dem Verlust des sozialen Status, wie derzeit,
in die Mitte der Gesellschaft vordrängen und
Parteien nicht mehr glaubwürdig agierten,
verstärke dies die Spannungen innerhalb der
Gesellschaft, von denen vornehmlich radikale
Parteien profitierten. Er sprach sich zudem
dagegen aus, Bildung als Allheilmittel gegen
Armut zu betrachten. Mit dieser Haltung würde
ein Problem individualisiert, das nur politisch und
gesellschaftlich gelöst werden könne.
Durchaus kritisch zu sehen sei der Blick von
Fachkräften auf arme Menschen. Dieser sei häufig
geprägt von Normvorstellungen von Familie und
Elternschaft, die sich an der bildungsbürgerlichen
Mittelschicht ausrichten, so Salem. Hier sei eine
selbstkritische und reflektierte Haltung von
Leitung und Fachkräften wesentlich, um Ausgrenzung und Stigmatisierung vorzubeugen. Entscheidend seien dafür Wissen über Armut, Erfahrung
darin, wie man von Armut betroffene Familien
ansprechen kann und eine sensible Haltung.
Befragt nach den tatsächlichen Möglichkeiten für
Fachkräfte, Armut und deren Folgen zu begegnen,
waren sich die Diskutierenden über die Schlüsselrolle von Kitas einig. Mit unterstützenden Angeboten für Familien, einer guten individuellen
Förderung von Kindern, die sich an den Stärken
orientiert, und der Verzahnung vieler niedrigschwelliger Angebote können Kitas einen großen
Beitrag leisten, allen Kindern gleiche Chancen zu
ermöglichen.
In einer abschließenden Diskussionsrunde gaben
Fachleute aus Nordrhein-Westfalen, Leipzig und
der Fröbel-Zentrale Einblick in die Praxis von
Familienzentren und Kita-Sozialarbeit. Entscheidend für die Wirkung seien Mut und ein offener
Blick für die Situation von Familien. Dafür brauche
es fachliche Unterstützung und schnelle, unbürokratische Lösungen für personelle Lücken, zum
Beispiel durch Quereinsteiger, so das Fazit der
Runde.
Einblick in die Praxis
71