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PLURALITÄT IST NORMALITÄT
Viele Sprachen
sind hier zu Hause
Kitas sind heute vielsprachige Orte. Im Gegensatz zur Schule spie
len die oft sehr zahlreichen Erstsprachen der Kinder im Kita-Alltag
eine wichtige Rolle. Mehr noch: Die wachsende Anzahl mehr
sprachig aufwachsender Kinder bringt bereits wichtige Sprachlern
kompetenzen in die Kita mit. Weshalb die Politik diesen Vorteil
für die frühe Bildung endlich erkennen und für mehr Chancen
gerechtigkeit nutzen muss, erklärt Valeska Pannier.
Warum sind die ersten Lebensjahre
entscheidend für die Sprachent
wicklung?
der Umwelt, denn Sprache und Sprechen ist in allererster Linie Kommunikation mit der Welt.
In der frühen Kindheit werden die GrundHat ein Kind, das mehrsprachig
lagen für Sprachverständnis und Sprachaufwächst, auch Vorteile in seiner
produktion gelegt – was hier versäumt
Sprachentwicklung?
wird, lässt sich später kaum nachholen.
Gleichzeitig wird in den ersten LebensJa, zweifelsfrei! Und zwar nicht nur in Sajahren das Gehör weiter ausgebildet, die
chen Sprachentwicklung, sondern auch
Mund- und Sprechmotorik verfeinert sich
in anderen Entwicklungsbereichen. Die
und die gesamte geistige Entwicklung,
Wissenschaft lässt daran schon lange
das Erinnern, Denkeinen
Zweifel
ken, Planen und die
mehr. Kinder, die
Vorstellungskraft, Lernen von Sprache ist nicht
mit mehreren Sprawerden immer bes- einfach ein innerer Vorgang,
chen groß werden,
ser. Auch das geht
der sich ganz von alleine
können nicht nur
mit der Sprachentspäter auch weiteentfaltet – er braucht von
wicklung Hand in
re Sprachen leichAnfang an Impulse und Anre
Hand.
ter lernen und hagungen aus der Umwelt.
Ein Säugling
ben ein deutlich
wird mit der ergrößeres Wissen
staunlichen Fähigkeit geboren, jede über Sprache, sie sind einsprachig aufSprache der Welt zu lernen und kann am wachsenden Kindern auch kognitiv
Anfang alle Laute auseinanderhalten – leicht überlegen. Außerdem erwerben
auch Nuancen oder Betonungsunter- sie über die Jahre ein breiteres Verständschiede, die Erwachsene nicht mehr hö- nis über sich und die Welt, weil ihnen Ausren. Das verliert sich aber mit der Zeit und drucksmöglichkeiten in mehreren
Kinder stellen sich dann auf die Sprach- sprachlichen Denkwelten zur Verfügung
umwelt ein, die sie größtenteils umgibt. stehen, die auch unterschiedliche KonBeim Lernen von Sprache wird also ganz zepte und Sichtweisen beinhalten. Es ist
besonders deutlich, dass es sich hier außerdem eine Fehlannahme, dass die
nicht einfach um einen inneren Vorgang Mehrheit der Menschen einsprachig aufhandelt, der sich ganz von alleine entfal- wächst – das Gegenteil ist der Fall: Mehrtet – er braucht zwingend und von An- sprachigkeit ist global gesehen die Norfang an Impulse und Anregungen aus malität, nicht die Ausnahme.
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Wie kann die Kita mehrsprachig
aufwachsende Kinder gut mit
Angeboten zur Sprachbildung
unterstützen?
Der erste Schritt beginnt bei den Einstellungen und Überzeugungen der Menschen, die in einer Kindertageseinrichtung arbeiten: Wie bewerten die Fachkräfte die Mehrsprachigkeit der Kinder?
Schätzen sie die sprachlichen Kompetenzen von Kindern in allen Sprachen
gleichermaßen wert? Oder vermitteln sie
das Bild, dass in der Einrichtung vor allem
deutsch gesprochen werden sollte – mit
der guten Absicht, den mehrsprachig
aufwachsenden Kindern den deutschen
Spracherwerb zu erleichtern?
Es ist heute überholt zu glauben,
dass Kinder, die Sprachen mischen und
sogar mitten im Satz von einer Sprache in
eine andere wechseln, am Ende vielleicht keine Sprache richtig beherrschen.
Es besteht da kein Grund zur Sorge, sondern es kommt vielmehr darauf an, die
Kinder möglichst in all ihren Sprachen anzuregen und zu bestärken – nicht zu beschränken.
Es ist wichtig, sich klarzumachen,
dass bi- und multilinguale Kinder häufig
an ungerecht hohen Maßstäben gemessen werden – an der Idealentwicklung eines einsprachig aufwachsenden Kindes,
die es so auch gar nicht gibt. Das Sprachvermögen von Kindern, die mehrere
Sprachen gleichzeitig oder kurz nachein-