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AUS DER PRAXIS
Eine Geschichte mit Wirkung
Niemand ahnte, welch großes Projekt
entstehen würde, als sich interessierte
Kinder im Leseraum vor dem Kamishibai,
einem bildgestützten Erzähltheater, zusammenfanden um der Geschichte „Die
kleine Maus sucht einen Freund“ von Eric
Carle zu lauschen. Wir betrachteten gemeinsam die Bildkarten und hörten die
Geschichte.
Eine einsame Maus
stellt verschiedenen
Tieren die immer
wieder gleiche Frage: Wollen wir
Freunde sein? Alle
Tiere lehnen die
Freundschaft der
Maus ab. Erst als die
kleine Maus auf ihresgleichen trifft,
geht ihr Wunsch in
Erfüllung.
Aber ist es wirklich so, dass eine
Maus nur mit einer
Maus befreundet sein kann?
Diese simple Frage führte sofort zu
lebhaften Diskussionen. Die Meinungen
gingen weit auseinander. Mit Feuereifer
wurden Unterschiede der Tiere herausgearbeitet. Ihre verschiedenen Fähigkeiten,
Vorlieben und Fressgewohnheiten wurden besprochen.
Diese Energie galt es am Schopf zu
packen: Die besten Ideen entstehen einfach dort, wo Kinder voller Begeisterung
miteinander ins Gespräch kommen.
Warum kann eine Maus nicht mit einem Affen befreundet sein? Weil ein Affe
gut klettern kann und eine Maus nicht.
Und ein Affe passt nicht in so ein kleines
Mauseloch.
Muss der Affe denn die ganze Zeit
auf Bäumen klettern? Nein, der hat bestimmt auch mal Lust, auf dem Boden zu
spielen. Immerzu klettern ist ja auch sehr
anstrengend. Und die Maus muss ja auch
nicht immer im Mauseloch sitzen. Das ist
bestimmt langweilig.
Könnten die beiden dann vielleicht
doch ab und zu zusammen spielen? „Ja,
ich glaube, das würde schon gehen.“
„Glaube ich auch.“
Nachdem viele gute Ideen entstanden waren, beschlossen wir, die Geschichte weiterzuschreiben und ihr somit ein neu-
es Ende zu geben. Bei uns sollten die Unterschiede der Tiere einer Freundschaft nicht
länger im Wege stehen, denn „es ist doch
toll, wenn alle etwas anderes können.
Dann wird es beim Spielen nie langweilig“.
Kaum hatten wir unsere neue Geschichte vollendet, da wurde der Ruf
nach einer Bebilderung laut: „Wie sollen
wir die Geschichte sonst mit dem Kamishibai erzählen? Wir
können doch nicht
lesen.“ Also ran an
die Farbtöpfe. Spätestens als im Garten Papiere mit Fingerfarben ganzflächig eingefärbt
wurden, um Bilder
im Stil Eric Carles zu
gestalten, waren
auch die Allerkleinsten voller Begeisterung dabei. Nach
langen Stunden des
Wartens waren die
Papiere endlich
richtig trocken und konnten geschnitten
werden. Schritt für Schritt entstanden die
ergänzenden Bildkarten unserer Geschichte auf DIN A3 Kartonpapier für unser Kamishibai.
Schon wurde eine neue Idee geboren: Unsere Vorschulkinder, die eifrig an
der Weiterentwicklung und Bebilderung
beteiligt waren, schlugen vor, zusätzlich
ein Buch zu erstellen. So würde es auch ihnen möglich sein, die Geschichte mit
nach Hause zu nehmen. Gesagt, getan.
Sofort wurden die Bildkarten fotografiert
und mit Hilfe einer App entstand das
Buch.
Am Ende hielten wir acht neue Kamishibai-Bildkarten, ein eBook und viele
kleine gebundene Büchlein in den Händen. Zur Buchpremiere wurde unsere Version von „Die kleine Maus sucht einen
Freund“ von den Kindern selbst vorgestellt
und mit tosendem Applaus belohnt.
Unser Buchprojekt hat die Kinder vor
viele Herausforderungen gestellt. Kreativität, sprachliche und künstlerische Fähigkeiten, Durchhaltevermögen, technische
Affinität und Fantasie waren gefordert.
Am Ende hielten die Kinder jedoch
nicht nur großartige Medien in den Händen, auf die sie zu Recht sehr stolz sein
konnten. Die intensive Beschäftigung mit
den Themen Freundschaft und Unterschiedlichkeit hatte ganz behutsam auch
etwas in ihren Herzen in Bewegung gesetzt. Die Kinder haben ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass Vielfalt ganz normal ist.
Nicht nur bei den Tieren in der Geschichte,
sondern auch bei uns Menschen.
In unserer Kita gibt es Vorschul- und
Krippenkinder, Plaudertaschen und Träumer, Zauderer und Draufgänger, Kletteraffen und Leseratten, Hilfe-Holer und Selber-Macher. Vielfalt kann herausfordernd
und manchmal anstrengend sein. Aber
wenn sich jeder ein bisschen Mühe gibt,
sich einbringt, aber auch mal zurücknimmt, dann können wunderbare Dinge
entstehen.
Katharina Werth
FRÖBEL-Haus für Kinder
Eisnergutbogen
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