ALT EXAMPLE - MAGAZINE - KOMPETENZ - Flipbook - Seite 31
GESUNDHEIT 31
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IM GESPRÄCH MIT
NICOLE SCHWEITZER
Ärzte der Integrativen Medizin sind nicht nur Rettungsschwimmer,
sondern auch Schwimmlehrer.
Nicole Schweitzer (56) arbeitete neun
Jahre als Ärztin in einem der größten
zertifizierten Brustzentren Berlins.
Neben der chirurgischen Intervention
galt es im Rahmen von interdisziplinären Tumorkonferenzen, die bestmögliche Therapie für die jeweils betroffene
Patientin zu erörtern und individuell
auf sie abzustimmen. Einerseits ist dies
für Dr. Schweitzer immer eine sinnvolle
und befriedigende Aufgabe gewesen,
andererseits bedauerte sie, dass es im
konventionellen Verständnis unserer
Medizin nur selten Raum für eine tiefe
Patienten-Arzt-Begegnung gibt, um
gemeinsam die meist multifaktoriellen
Ursachen zu ergründen, die letztlich zu
der Erkrankung geführt haben.
„In der Integrativen
Medizin geht es nicht
allein um Befunde der
Patienten, sondern vor
allem um ihr
Befinden.“
Wie lange arbeitest du schon als Ärztin?
Seit etwa 14 Jahren – ich habe erst mit
Mitte 30 angefangen, Medizin zu studieren und mit 42 Jahren mein Examen
gemacht. Zuvor habe ich Betriebswirtschaft studiert und in diesem Bereich
gearbeitet.
Und dennoch war es schon immer dein
Traum, Ärztin zu werden?
Ja, als ich acht Jahre alt war, wollte ich
unbedingt Kinderärztin werden. Jeden
Abend habe ich mir das „Knaur Gesundheitslexikon“ meiner Eltern mit ins Bett
genommen und mit einer Taschenlampe
heimlich unter der Bettdecke in der
ersten Nacht alle Krankheiten mit „A“
gelesen, in der nächsten alle mit „B“ und
so weiter.
Aber du hast die Verwirklichung deines Traumberufs ein wenig hinausgezögert. Warum?
Ja, das stimmt. Als junger Mensch fühlte
ich mich der Verantwortung, die wir
als Ärzte tragen, im wahrsten Sinne
noch nicht gewachsen. Ich habe aber
nie aufgehört, von diesem Studium
zu träumen und mich im Alter von 35
Jahren mit mehr Lebenserfahrung und
der Rückendeckung meines Mannes
im Gepäck auf die große Reise der
Humanmedizin begeben. Während
er arbeiten ging, habe ich mit unseren
Kindern die Grundschulbank gedrückt
und nachmittags mit ihnen gemeinsam
am großen Küchentisch Hausaufgaben
gemacht. Mein Sohn rechnete Textaufgaben, meine Tochter übte Schreibschrift, und ich lernte Hirnnerven und
Muskelansätze. Genau wie meine Bettlektüren als Kind hat mich das lang ersehnte Medizinstudium an der Berliner
Charité von der ersten bis zur letzten
Vorlesung begeistert, und ich empfinde
bis zum heutigen Tag große Demut und
Dankbarkeit, dieses wundervolle Studium absolviert zu haben.
Was begeistert dich so an der Medizin?
Ich fand damals wie heute das höchst
spannende Wunderwerk Mensch ex
trem faszinierend und habe mich schon
immer gefragt, warum sich in einem
solch klugen Selbstregulierungssystem
wie dem des menschlichen Regelwerks
krankmachende Prozesse überhaupt
entwickeln können. Welcher individu-
„... warum sich in einem
solch klugen Selbstregulierungssystem wie
dem des menschlichen
Regelwerks krankmachende Prozesse
überhaupt entwickeln
können.“
ell pathologische „Nährboden“ ist im
jeweiligen Leben von uns Menschen ausschlaggebend dafür, dass tiefgreifende
und nicht umkehrbare Schäden entstehen, die für den Organismus aus eigener
Kraft nicht mehr beherrschbar sind. Im
Gegensatz zu heute war mir damals noch
nicht annähernd klar, wie stark Physis
und Psyche sich dabei gegenseitig bedingen.
Was bedeutet das für die therapeu
tische Praxis?
Ärzte und Patienten müssen im aufmerksamen Miteinander lernen, die Botschaft
eines Symptoms als wichtigen Signalgeber auf einen aktuellen Missstand im
Leben des Patienten zu verstehen und
diesen als ganzheitliche Warnblinkanlage zu begreifen – genau wie eine
Leuchtdiode im Cockpit des Autos, die
rechtzeitig auf einen möglichen Motorschaden hinweist. Wenn ein Patient mit
einem Bandscheibenvorfall berichtet ,,die